Drei Teile

Ein Padischah in Herat in Afghanistan fühlte sein Ende nahen. Er rief seine drei Söhne, nannte ihnen die Stelle, wo er seine Schätze vergraben hatte, gebot redlich Teilung und verschied. Ein Bruder schlich hinaus, raubte die Edelsteine, und als die vierzig Trauertage verstrichen waren und alle drei den Nachlass suchten, wurde der Raub offenbar.

Einer bezichtigte den anderen des Diebstahls. Sie gingen zum Kadi, und der erzählte: „Vor vielen hundert Jahren liebten sich hier ein Jüngling und ein Mädchen. Die Eltern der Jungfrau aber hatten andere Pläne und verlobten sie mit einem Freund des Hauses. Als das Mädchen Abschied nahm von ihrem Geliebten, versprach sie, die Hochzeitsnacht an seiner Seite zu verbringen und erst dann ihrem Gemahl anzugehören.
Der Tag der Hochzeit kam. Sie offenbarte ihr Versprechen und der Bräutigam gebot ihr, es zu halten.

Sie machte sich auf den Weg. Da sprang ein Räuber aus dem Gebüsch und versuchte, ihr Gewalt anzutun. Als sie ihm den Grund ihrer nächtlichen Wanderung erzählte, geleitete er sie zum Haus des Jünglings.
Der junge Mann wurde zutiefst beschämt vom Edelmut des Gemahls. Er küsste der Getreuen beide Hände, nahm weinend endgültig Abschied und entließ sie mit allen Segenswünschen. Der Bandit, der vor dem Hause gewartet hatte, begleitete die Braut ins Haus des Gemahls zurück.

„Wer“, schloss der Richter, „handelte am edelsten: Der Bräutigam, der Jüngling oder der Räuber?“
„Der Gemahl“, sprach der Älteste.
„Der Jüngling“, rief der zweite.
„Der Räuber“, entschied der Jüngste.

„Du hast die Steine gestohlen“, sprach der Richter, auf den dritten
Bruder deutend. „denn jeder hält zu seinesgleichen: der Ehrenmann zum Ehrenmann, der Liebende zum Liebenden und der Dieb zum Dieb.“

(Alte Parabel)


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